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Social Networking für oder von Dummies? – Koch und Richter über Enterprise 2.0

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enterprise20Michael Koch und Alexander Richter haben in ihrem Buch Enterprise 2.0 (Oldenbourg Verlag) Informationen aus vielen Werken zusammengetragen, die sie bereits gelesen haben. Sie bilden damit in Deutschland die Spitze der Literatur, die auch andere Autoren mit ähnlichen Zusammenstellungen liefern. Die mangelnde praktische Erfahrung der meisten Autoren wird mit sogenannten “best practises” ausgeglichen. Es sind zumeist Anwenderberichte von Firmen, die spezifische Software oder IT-Strukturen/Architekturen ausprobiert haben und dies nun stolz als Erfolg darstellen. Die Gründe für diese Darstellung sind vielfältig, aber lassen sich zumeist mit Profilierung und Selbstdarstellung im besten oder schlechtesten Sinne umschreiben. Sind diese Teile der “Standardwerke” noch ganz spannend, fallen die Teile, wo eklektizistisch einfach andere Inhalte aus zumeist internationalen Werke zusammengetragen werden, extrem in die Beliebigkeit ab.

Stellvertretend nehme ich mir heute aus besagtem Buch den Teil “Vorteile von Social Networking aus unternehmerischer Sicht”.

Sie beziehen sich auf folgendes Buch: Teten, D.; Allen, S. (2005): The Virtual Handshake: Opening Doors And Closing Deals Online, Mcgraw-Hill Professional, Amacom, New York.

Man erkennt am Titel, dass es sich hier um ein Werk aus dem Bereich Sales/Entrenpreneurship handelt! Wer will, kann es sich hier kostenfrei nach einer Registrierung herunterladen. Es lohnt sich.

Koch/Richter erklären mit Bezug auf dieses Werk folgende Vorteile von Social Networking:

1. Unter Ausnutzung der intensiven Vernetzungen kann man die eigenen Qualitäten einer größeren Zielgruppe darstellen. Die Kompetenzen der Mitarbeiter lassen Rückschlüsse auf die Qualität des Outputs des Unternehmens zu.

Was sollen diese ungelenk formulierten Sätze beschreiben? Sie erklären, dass eine intensive Vernetzung genutzt wird, um sich selbst darzustellen. Wer interne und auch externe Netzwerke kennt, wird erlebt haben, dass meistens die fähigsten Mitarbeiter ihre Profile am nachlässigsten pflegen. Ob es daran liegt, dass sie keine Zeit haben, wenig Sinn in der Selbstdarstellung sehen oder schlicht keine Veranlassung haben, sich anzubieten, sei dahingestellt. Eine – wie auch immer gemeinte – intensive Vernetzung funktioniert nicht qua fein granulierter Profilbearbeitung. Hätten Koch/Richter das Werk von Teten und Allen genau studiert hätten sie dort gelesen, dass Social Networks eben selten dazu dienen, fremde Personen besser kennen zu lernen. Sie sind sehr effektiv darin, die Beziehung zu Leuten aufrechtzuerhalten bzw. wiederaufleben zu lassen, die man irgendwann mal kennen gelernt hat. Die Amerikaner nennen dies das Verwandeln einer schwachen in eine starke Verbindung (s.u.). Diese intensive Vernetzung entsteht also NICHT auf der Basis eines tollen Profils.

Der zweite Satz, dass die Kompetenzen Rückschlüsse auf den Output eines Unternehmens zulassen, halte ich für einen Gemeinplatz, der so radikal reduziert ist, dass er eigentlich als falsch und unlogisch zu entlarven ist. Es liegt auf der Hand, dass viele gute Köche nicht unbedingt besser kochen als ein guter Koche alleine. Hier greifen die Autoren Koch/Richter aber auf den Kompetenzbegriff zurück. Dieser umfasst jedoch neben der Sachkompetenz, die in Zertifikaten öffentlich dargestellt wird, vor allem im Kontext des gesamten Unternehmens die interdisziplinäre Kompetenz sowie als Realisation der Fachkompetenz die Eigenverantwortung und Eigeninitiative. Alle drei Elemente sind mitnichten in den Profilen eines sozialen Netzwerks abzulesen – noch nicht einmal direkt im Output der Firma ablesbar.

Ingesamt ist diese 1. These falsch, weil sie keinerlei qualitativen Bezug zwischen Profilen, intensiver Vernetzung und Qualität des Outputs erstelllt bzw. in eine nachvollziehbare Relation setzt.

2. Durch das Social Networking wird ein Zugang zum Wissen des Kollektives geschaffen. was zu Kompetenzsteigerungen des Einzelnen führen kann. Dies entlastet das Unternehmen, da die bereitgestellten Ressourcen extern in Form von Humankapital kostenfrei zur Verfügung gestellt werden.

Das “Wissen des Kollektivs” ist wenigstens die Summe dessen, was alle Mitglieder dieses Kollektivs wissen. Da die meisten Menschen noch nicht einmal selber bewußt nachvollziehen können, was sie eigentlich wissen, ist diese These zutiefst fragwürdig. Sie basiert auf einem mechanischen Weltbild, das Wissen als Materie erfasst, die zusammengetragen und jederzeit frei abgerufen werden kann, was unrealistisch ist. Wir wissen alle aus unserer eigenen Lebenswelt, dass man oft etwas weiß, was man an anderen Tagen einfach nicht erinnert oder dass man sich durch das Darstellen von Problemen durch andere auf die falsche Fährte führen läßt und bei eigener Betrachtung die eigene Formulierung eines Problems schon die Lösung enthält. Ohne weiter auf den sehr fragwürdigen Begriff des “Wissen des Kollektivs” zu vertiefen, verweise ich hier einfach auf die extreme Problematik, auf Wissen zuzugreifen oder einen Zugang dazu zu haben einfach über die Existenz von Personenprofilen im Intranet. Menschen geben ihre Wissen nicht einfach deswegen preis, weil ein Kollege aufgrund ihres Profils erschließt, dass sie etwas wissen müssten.

Dass die Kompetenz des Einzelnen steigt, wenn er in einem Kollektiv ist, das andere Menschen mit anderen Kompetenzen umfasst, halte ich für einen so schlichten Gedanken, dass ich die Bewertung dem geneigten Leser überlasse. Die Entlastung des Unternehmens geht in diesem Fall eher gegen Null. Begriffe wie Humankapital und kostenfrei in Bezug auf derart komplexe Betrachtungen wie das Zusammenwirken verschiedener Menschen, verschiedener Wahrnehmungs- und Erfahrungshorizonte angesichts nur einer einzige Problemstellung in ein “Fachbuch” zu schreiben, halte ich für grob fahrlässig und unverantwortlich gegenüber den interessierten Lesern. Wer Erfahrungen im Projektmanagement gesammelt hat, weiß, wie umfangreich allein das Erarbeiten der einzelnen Schritte zum Problemverständnis und der angemessenen -analyse sind und wie diese Komplexität exponentiell zunimmt, je mehr Abteilungen beteiligt sind.

Auch diese zweite These ist in ihrer Schlichtheit eher falsch als richtig. Ist in der ersten These einfach die Relation falsch bewertet, ist hier grundsätzlich der Wurm drin. Denn sowohl der Satzgegenstand als auch die Satzaussage sind nicht haltbar ohne Zusatzannahmen, die zumindest nicht genannt sind. Der zweite Satz ist einfach nicht belegbar und auch nicht logisch darstellbar.

3. Neue Kontakte, die relevanten Nutzen stiften, können mit Hilfe der Social Software einfacher lokalisiert werden, da die Onlinesuche effektivere Ergebnisse liefert als traditionelle Maßnahmen des Beziehungsmanagements.

Dieser Satz kann nicht Ernst gemeint sein. Natürlich ist eine Datenbank voller Personenprofile, auf die alle zugreifen können, anders als eine Datenbank, die nur der Personalabteilung zugänglich ist. Die Frage ist, ob, wer und mit welchem Recht auf welche Inhalte zugreifen soll und darf. Was aber ein Social Network an neuer Qualität gegenüber der schlichten internen Yellow Pages an neuen Möglichkeiten eröffnet, ist hier mitnichten dargestellt. Wenn man den Beginn des Satzes betrachtet, dann wird dieser zunächst offensichtliche Gemeinplatz noch ins Falsche gekehrt. Man kann in Sozialen Netzwerken keine neuen Kontakte erhalten, die relevanten Nutzen stiften. Man kann dort POTENTIELL neue Kontakte knüpfen, die POTENTIELL neue Perspektiven oder Kompetenzen einbringen und dadurch etwas befördern ODER gar behindern. Die Begriffe Relevanz und Nutzen gehören übrigens zwei unterschiedlichen Kategorien an und sind in diesem Kontext nicht sinnvoll zu verbinden ohne Zusatzannahmen, die hier nicht offenbart wird.

Erneut verhindern unglückliche und kaum durchdachte Formulierungen das Bestätigen eines Gemeinplatzes, der in einer solchen Thesensammlung eigentlich sowieso nichts verloren hat.

An dieser Stelle zitiere ich aus naheliegenden Gründen eine externe Quelle, die eines der Probleme auf den Punkt bringt:

“Komplett neue Kontakte über das Internet aufzubauen, erfordert hingegen einen gewissen Einsatz an Energie, der eben mit einer Kontaktanfrage und einem netten Zweizeiler nicht geleistet werden kann. Viele Nutzer von Online Social Networks sitzen hier einem Trugschluss auf. Sie gehen davon aus, dass bereits das Kontaktieren eine schwache Bindung entstehen lässt, welche für das Business sehr wichtig sein können. Was hingegen beim Empfänger einer solchen Kontaktanfrage entsteht, hat mit einer Bindung meist wenig zu tun. Daher kann man zusammenfassend sagen: Schwache Bindungen lassen sich allein über das Internet nur sehr schwer erzeugen.”

Kommen wir zur vierten These von Koch/Richter:

4. Alle Netzwerkbeziehungen, auch weit entfernte oder nur durch die Plattform zustande gekommene und durch deren technische Möglichkeiten aufrecht erhaltene Kontakte können durch den Faktor [sic!] Vertrauen gestärkt und authentisiert werden. Dieser kann durch gegenseitige Empfehlungen weiter ausgebaut werden bis hin zu einer Expertise oder Garantie : “Displaying conncetions is a way of signalling a willingness to risk one’s reputation” Donath/Boyd 2004 Seite 76

Tja. hm. Also hier bleibt mir ehrlich gesagt die Spucke weg. Dies verläßt eigentlich den Rahmen eines akademischen Diskurses und driftet in die spekulative Astrologie ab. Beginnen wir hinten:

Der Artikel von Judith Donath und Dana M. Boyd aus 2004 (Donath, J., & Boyd, D. . Public displays of connection. BT Technology Journal, 22 , 71-82 ) erweiterte Boyds eigene Studien aus diesem Jahr dahingehend, dass die Darstellung von Beziehungen zwischen Nutzern (Kontakte des Kontakts) von öffentlichen Sozialen Netzwerken wie Friendster (der Untersuchungsgegenstand von Boyd) eine sehr leistungsfähige Hilfe für das Navigieren innerhalb dieser Netzwerke sei. Im Gegensatz zu Marwick in 2005 (Marwick, A. “I’m a lot more interesting than a Friendster profile:” Identity presentation, authenticity, and power in social network service. Chicago, IL. ) stellte Boyd auf der Grundlage des oben angeführten Gedankens klar, dass es immer Fakesters (Betrüger) gebe und ein Profil nie ganz real sein könne!

Die sichtbaren Beziehungsmuster (Kontaktliste) eines Profils ermöglichen das Validieren desselben, vor allem wenn man einen oder mehrere gemeinsame Kontakte findet. ABER: dies ist ein Thema öffentlicher Sozialer Netzwerke und ist nur in sehr eingeschränktem Umfang auf interne Soziale Netzwerke anwendbar, da die Neigung zum Fake innerhalb von Firmen deutlich geringer ist, da der Gesichtsverlust und die direkten Konsequenzen deutlich empfindlicher sind. Außerdem ist die interne Kontaktliste bei einer Firma mit 300 Angestellten nicht so besonders heterogen.

Fokussieren wir den Begriff des Vertrauens. Aus eigener Erfahrung und vielleicht auch durch akademische Beschäftigung mit diesem Begriff weiß der geneigte Leser, dass dieses Gut sehr selten verteilt wird und eine lange Vorgeschichte hat. In der Soziologie entsteht Vertrauen auf der Grundlage gemeinsamer kultureller Werte, die langsam zu einem stabilen Gefühl des persönlichem Vertrauens wachsen können. Dieser Begriff des Vertrauens lässt sich eben nicht via Internet begründen. Man könnte das Konzept des Web of Trust an den Haaren aus der Kryptologie herbeiziehen und die gegenseitige Bestätigung der einzelnen Nutzer als eine Art Signatur auffassen. Das wäre interessant liegt aber offenbar außerhalb des Wissensbereichs der Autoren. Die nächstliegende Quelle müsste bei einem modernen Wissenschaftler in diesem Umfeld das Konzept des sozialen Kapitals von Pierre Boudieu sein. Dort ist Vetrauen ein zentaler Bestandteil der Beziehungen zwischen Menschen. Allerdings steht genau dieser Begriff in direktem Gegensatz zum Begriff des Humankapitals. Letzteres fokussiert auf natürlich Personen. Bourdieus soziales Kapital nimmt nur die Beziehungen zwischen ihnen zum Untersuchungsgegenstand. Die Bereitschaft der Akteure, miteinander zu kooperieren erfordert dort eben soziales Vertrauen, welches sich jedoch erst durch KOOPERATION und GEGENSEITIGE UNTERSTÜTZUNG entwickelt.

Das Buch listet noch drei solcher hanebüchener Thesen auf. Ich denke, wer diese liest, wird selbst sehen, auf welch einer Ebene die wissenschaftliche Betrachtung des Themas Enterprise 2.0 zu Zeit steht, denn das ganze Buch der zwei Autoren gilt hierzulande als Standardwerk. Ich habe bei jeder Seite mehrmals laut aufgelacht. Nach einigen Dutzend Seiten ist mir allerdings das Lachen im halse stecken geblieben. Wenn wir dieses spannende Thema auf eine derart triviale Art der Beschäftigung mit ihren Grundbedingungen und Probleme reduzieren, wie Michael Koch und Alexander Richter es tun, dann wäre es besser, es gleich sein zu lassen. Insofern haben all diejenigen Recht, die sich Enterprise 2.0 noch verschließen. Die akademische Diskussion ist im deutschsprachigen Europa bisher auf dem Stand eines Leistungskurses Politik in der 12. Klasse.

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